|02| „Wahrhafte“ Kooperation zwischen Personen des Privatrechts

I. Einführung: Der Kern privatrechtlicher Kooperation

Nachdem im ersten Modul die philosophischen Grundlagen von Kooperation beleuchtet wurden, wendet sich dieser Vortrag der konkreten Ausgestaltung von Kooperation im deutschen Zivilrecht zu. Im Mittelpunkt steht die Frage, was „wahrhafte“ Kooperation zwischen Personen des Privatrechts – also zwischen Bürgern und Unternehmen im täglichen Rechtsverkehr – bedeutet, insbesondere wenn diese Interaktionen zunehmend online stattfinden. Es geht um Verträge, Vereinbarungen und das gelebte Miteinander im digitalen Geschäftsleben, wo Vertrauen und Verlässlichkeit entscheidende Faktoren für den Erfolg sind.

Der Begriff „wahrhafte“ Kooperation signalisiert bereits, dass es um mehr geht als nur um die strikte Einhaltung des buchstäblichen Vertragsinhalts. Gerade im dynamischen und oft unübersichtlichen Online-Umfeld, wo nicht jede Eventualität vorab geregelt werden kann, impliziert „wahrhafte“ Kooperation ein partnerschaftliches Verhalten, das von gegenseitiger Rücksichtnahme und dem Willen geprägt ist, den gemeinsamen Vertragszweck zu erreichen. Online-Kooperationen, sei es bei komplexen Softwareprojekten, langfristigen Dienstleistungsbeziehungen oder auch im E-Commerce, sind häufig durch eine hohe Komplexität und Unvorhersehbarkeit gekennzeichnet. Sich ändernde technische Rahmenbedingungen, neue Marktentwicklungen oder unvorhergesehene Störungen erfordern Flexibilität und Anpassungsbereitschaft von allen Beteiligten. Eine rein formale Vertragserfüllung, die sich stur am Wortlaut orientiert, ohne den Geist der Vereinbarung und die Interessen der anderen Partei zu berücksichtigen, kann in solchen Kontexten schnell zu suboptimalen Ergebnissen, Enttäuschungen und kostspieligen Konflikten führen. Aus einer Hegelschen Perspektive könnte man argumentieren, dass „wahrhafte Kooperation“ über das rein abstrakte Recht des Vertrages hinausgeht und Elemente der „Sittlichkeit“ – also einer gelebten, von gegenseitiger Anerkennung und gemeinsamen Normen getragenen Praxis – erfordert, um den Vertragszweck im Sinne einer vernünftigen und fairen Interaktion zu verwirklichen.  

Die spezifischen Herausforderungen des Online-Raums, wie die potenzielle Anonymität, die räumliche Distanz und die Flüchtigkeit mancher Interaktionen, stellen das Entstehen und die Aufrechterhaltung „wahrhafter“ Kooperation vor besondere Hürden. Traditionelle Mechanismen des Vertrauensaufbaus, die auf persönlichen Beziehungen und langjähriger Reputation beruhen, sind online nicht immer oder nur erschwert gegeben. Umso wichtiger werden daher rechtliche Ankerpunkte, die auch ohne persönliche Bindung ein Mindestmaß an Fairness, Redlichkeit und Rücksichtnahme im Rechtsverkehr einfordern. Das deutsche Privatrecht hält hierfür ein zentrales Instrument bereit: den Grundsatz von Treu und Glauben.

II. Der Grundpfeiler: § 242 BGB – Leistung nach Treu und Glauben

Das Herzstück der privatrechtlichen Kooperationspflichten bildet § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Vorschrift lautet: „Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“. Obwohl der Wortlaut primär auf die Art und Weise der Leistungserbringung durch den Schuldner abstellt, hat sich § 242 BGB durch jahrzehntelange Rechtsentwicklung durch Gerichte und Lehre zu einem die gesamte Privatrechtsordnung umspannenden Prinzip entwickelt. Er ist weit mehr als eine bloße Verhaltensanweisung; er kann eigenständige Nebenpflichten begründen und dient als Korrektiv für das gesamte Rechtsverhältnis.  

Der Begriff „Treu und Glauben“ verkörpert dabei sowohl ein objektives als auch ein subjektives Element. „Treu“ steht für Vertragstreue im ursprünglichen Sinne, für Redlichkeit und ein anständiges Geschäftsgebaren. „Glauben“ knüpft an ein bestehendes oder zu begründendes Vertrauensverhältnis an und fordert die Berücksichtigung des schutzwürdigen Vertrauens der anderen Vertragspartei. Die „Verkehrssitte“ wiederum bezeichnet das, was im Rechtsverkehr, also unter den an einem bestimmten Geschäftsbereich beteiligten Kreisen, als üblich, angemessen und fair verstanden wird. Sie ist das, was „alle billig und gerecht Denkenden“ als Anstandsgefühl erwarten. Hegels Konzept der „Sittlichkeit“ , das die in einer Gemeinschaft etablierten Normen und Praktiken umfasst, bietet hier einen philosophischen Resonanzboden: Die „Verkehrssitte“ kann als ein Ausschnitt dieser gelebten Sittlichkeit im wirtschaftlichen Kontext verstanden werden, die über rein formale Rechtsanwendung hinausgeht.  

Somit fungiert § 242 BGB als eine Art „Einfallstor“ für Vertrauenselemente, Anstands- und Fairnessmaßstäbe und letztlich für allgemeine Gerechtigkeitserwägungen in die oft formal geprägte Welt des Rechts. Er ist eine Generalklausel, die dann Geltung entfaltet, wenn das formale Recht oder eine starre Auslegung einer Vertragsklausel zu ungerechten, unzumutbaren oder ethisch nicht vertretbaren Ergebnissen führen würde, die das allgemeine Rechtsempfinden verletzen. § 242 BGB ist somit nicht nur eine passive Verhaltensnorm, die von den Parteien ein bestimmtes Verhalten fordert, sondern auch eine aktive Gestaltungs- und Korrekturvorschrift. Sie ermöglicht es Gerichten, flexibel auf unvorhergesehene oder unfaire Situationen zu reagieren, die in der ursprünglichen Vertragsgestaltung möglicherweise nicht bedacht wurden – eine Funktion, die gerade in den sich schnell wandelnden Online-Kooperationen von unschätzbarem Wert ist.  

Die „Verkehrssitte“ im Online-Kontext ist dabei besonders dynamisch und entwickelt sich ständig weiter. Was gestern online noch unüblich oder technisch nicht machbar war, kann heute bereits etablierter Standard sein – man denke an Reaktionszeiten im Kundenservice, die Transparenz von Online-Bewertungssystemen oder die Art und Weise der digitalen Kommunikation. Die Anwendung von § 242 BGB auf Online-Sachverhalte erfordert daher eine kontinuierliche Beobachtung dieser spezifischen „Online-Verkehrssitten“ und die Bereitschaft, diese bei der Auslegung von Treu und Glauben zu berücksichtigen. Dies macht die Norm herausfordernd in der Anwendung, aber auch außerordentlich anpassungsfähig an neue Gegebenheiten.

III. Ausprägungen von Kooperationspflichten aus § 242 BGB

Zur Konkretisierung des weiten Anwendungsbereichs von § 242 BGB haben Rechtsprechung und Lehre verschiedene Fallgruppen und Funktionen herausgearbeitet, die verdeutlichen, wie dieser Grundsatz Kooperation im Privatrecht aktiv formt und absichert.  

  1. Pflichtenbegründende Funktion: Aus § 242 BGB können sich eigenständige, über den Wortlaut des Vertrages hinausgehende Pflichten ergeben.
    • Eine zentrale Ausprägung ist die allgemeine Rücksichtnahmepflicht, die bereits in § 241 Abs. 2 BGB verankert ist. Sie verpflichtet jeden Vertragspartner, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Diese Pflicht gilt nicht erst ab Vertragsschluss, sondern erstreckt sich gemäß § 311 Abs. 2 BGB auch auf vorvertragliche Schuldverhältnisse, also bereits auf die Phase der Vertragsanbahnung. Im Online-Kontext bedeutet dies beispielsweise, dass ein Anbieter eines komplexen Online-Dienstes schon bei der Präsentation seines Angebots faire und transparente Informationen bereitstellen muss. Hegels Rechtsgebot „sei eine Person und respektiere die anderen als Personen“ findet hier eine konkrete privatrechtliche Entsprechung.  
    • Eng damit verbunden sind Auskunfts-, Informations- und Aufklärungspflichten. Gerade in Online-Kooperationen, wo oft eine Informationsasymmetrie besteht (z.B. zwischen einem Softwareanbieter und einem Laien-Nutzer), kann eine Partei verpflichtet sein, die andere über wesentliche Umstände aufzuklären, die für deren Entscheidung oder die Vertragsdurchführung relevant sind.
  2. Schrankenfunktion: § 242 BGB dient auch der Abwehr unzulässiger Rechtsausübung und des Rechtsmissbrauchs. Er setzt der Geltendmachung formal bestehender Rechte Grenzen, wenn dies gegen Treu und Glauben verstoßen würde.
    • Die Einrede des Rechtsmissbrauchs (dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est) besagt, dass eine Klage unzulässig ist, wenn der Kläger die eingeklagte Leistung sofort wieder an den Beklagten zurückgeben müsste.
    • Das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) untersagt es einer Partei, sich in Widerspruch zu ihrem eigenen früheren Verhalten zu setzen, wenn die andere Partei darauf vertraut hat und vertrauen durfte. Ein Online-Plattformbetreiber kann beispielsweise nicht über längere Zeit eine bestimmte Nutzungsweise dulden und diese dann plötzlich ohne Vorwarnung und triftigen Grund sanktionieren.  
    • Die Verwirkung ist ein Sonderfall des widersprüchlichen Verhaltens. Ein Recht kann nicht mehr durchgesetzt werden, obwohl es noch nicht verjährt ist, wenn der Berechtigte es über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich aufgrund des gesamten Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet hat und nach Treu und Glauben auch darauf einrichten durfte, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Umstandsmoment).  
    • Auch die unredliche oder rücksichtslose Erlangung oder Ausübung eines Rechts kann einen Verstoß gegen § 242 BGB darstellen. Unredlich ist die Erlangung, wenn das Recht durch Täuschung oder List erworben wurde. Rücksichtslos ist die Ausübung, wenn sie in einer Weise erfolgt, die zu vermeidbaren Nachteilen für den Vertragspartner führt (z.B. Ausübung eines mietrechtlichen Zutrittsrechts zur Nachtzeit ohne Notwendigkeit).  
  3. Regulierende Funktion: Diese Funktion dient der Ergänzung und Konkretisierung unvollständiger gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen. So kann § 242 BGB beispielsweise herangezogen werden, um festzulegen, wie und wo eine Leistung zu erbringen ist, wenn der Vertrag hierzu schweigt (z.B. dürfen Leistungen nicht an einem unpassenden Ort erfolgen). Im Online-Bereich könnte dies die Art und Weise der Kommunikation in einem Projekt oder die Standards für die Datensicherheit betreffen.  
  4. Kontroll- und Korrekturfunktion: Schließlich dient der Grundsatz von Treu und Glauben auch der Kontrolle und gegebenenfalls Korrektur von vertraglichen und gesetzlichen Regelungen, wenn deren strikte Anwendung zu unbilligen oder unzumutbaren Ergebnissen führen würde. Dies ist insbesondere im Bereich der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) relevant.  

Darüber hinaus wirkt § 242 BGB als Einfallstor für die Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht. Das bedeutet, dass grundrechtliche Wertungen wie die Menschenwürde (Art. 1 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) oder der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) bei der Auslegung von Treu und Glauben zu berücksichtigen sind. Dies hat erhebliche Bedeutung für Online-Plattformen und deren Umgang mit ihren Nutzern, etwa bei Sperrungen von Accounts oder der inhaltlichen Moderation.  

Die nachfolgende Tabelle fasst ausgewählte Kooperationspflichten und ihre Relevanz im Online-Kontext zusammen:

Funktion des § 242 BGBKonkrete Pflicht/EinredeBeispielhafte Online-Anwendung
PflichtenbegründendAllgemeine Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB)Ein Softwareanbieter muss bei der Vertragsanbahnung die Unerfahrenheit des potenziellen Kunden berücksichtigen und ihn nicht mit Fachbegriffen überfordern.
PflichtenbegründendAuskunfts- / InformationspflichtEin Cloud-Dienstanbieter muss transparent über seine Datensicherheitsmaßnahmen und den Speicherort der Daten informieren.
SchrankenfunktionVerbot widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium)Eine E-Commerce-Plattform, die bestimmte Verkaufspraktiken jahrelang toleriert hat, kann diese nicht ohne angemessene Vorankündigung plötzlich als Verstoß werten.
SchrankenfunktionVerwirkungEin Urheber, der jahrelang Kenntnis von der Nutzung seines Werkes auf einer Webseite hat und nichts unternimmt, kann sein Recht auf Unterlassung verwirken.
Regulierende FunktionKonkretisierung der LeistungspflichtBei einem Online-Coaching-Vertrag ohne explizite Regelung zur Aufzeichnungsbefugnis kann § 242 BGB herangezogen werden, um eine faire Lösung zu finden.
Kontroll- / KorrekturfunktionInhaltskontrolle von AGBEine Klausel in den AGB eines sozialen Netzwerks, die eine einseitige, grundlose Account-Sperrung ohne Anhörung ermöglicht, könnte gegen § 242 BGB verstoßen.

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Diese verschiedenen Funktionen des § 242 BGB bilden ein flexibles Instrumentarium, um Fairness und Kooperation in den vielfältigen und oft unübersichtlichen Online-Beziehungen sicherzustellen – von der ersten Kontaktaufnahme über die Vertragsdurchführung bis hin zu möglichen Störungen und der Vertragsbeendigung. Die Durchsetzung dieser aus § 242 BGB abgeleiteten Pflichten im Online-Raum kann jedoch aufgrund von Beweisschwierigkeiten und der oft grenzüberschreitenden Natur vieler Interaktionen komplex sein. Digitale Spuren wie E-Mails, Chatverläufe, Systemprotokolle oder Transaktionshistorien gewinnen daher als Beweismittel enorm an Bedeutung. Eine sorgfältige Dokumentation der Online-Kommunikation und -Interaktion ist für alle Beteiligten ratsam, um im Streitfall die eigene Position untermauern zu können.

IV. Konkrete Kooperationspflichten im Vertragsrecht am Beispiel des Baurechts (Analogien für Online-Projekte)

Obwohl das Baurecht auf den ersten Blick weit von der digitalen Welt entfernt scheint, lassen sich aus den dort entwickelten Kooperationspflichten wertvolle Analogien für komplexe Online-Projekte ziehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat wiederholt betont, dass der Bauvertrag als ein Kooperationsverhältnis zu verstehen ist, das von den Parteien einvernehmliches Zusammenwirken und gegenseitige Rücksichtnahme erfordert. Dies gilt umso mehr, als Bauprojekte oft langfristig angelegt sind, von vielen Unwägbarkeiten und Abhängigkeiten geprägt sind und das Potenzial für unvorhergesehene Änderungen und Störungen bergen – Merkmale, die auch auf viele große Online-Projekte, wie die Entwicklung komplexer Software, den Aufbau von Online-Plattformen oder langfristige digitale Serviceverträge, zutreffen.  

Aus diesem Kooperationscharakter leitet die Rechtsprechung spezifische Pflichten ab, wie die Pflicht zur gemeinsamen und gütlichen Konfliktlösung und die Verpflichtung, Verhandlungen über strittige Punkte zu führen, bevor gerichtliche Schritte eingeleitet werden. Sowohl die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/B) als auch das BGB selbst kennen spezifische Kooperationspflichten. Ein Beispiel im BGB ist § 642 BGB, der die Mitwirkungspflichten des Bestellers (Auftraggebers) im Werkvertragsrecht regelt. Kommt der Besteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nach (z.B. Bereitstellung von Plänen, Vorleistungen), kann der Unternehmer unter Umständen eine angemessene Entschädigung verlangen oder den Vertrag kündigen.  

Diese im Baurecht etablierten Grundsätze – die Pflicht zur gegenseitigen Information, zur Koordination der eigenen Leistungen mit denen der anderen Seite, zur gemeinsamen Analyse und Behebung von Störungen und zur konstruktiven Mitwirkung am gemeinsamen Projektziel – sind direkt auf komplexe Online-Kooperationen übertragbar. Fehlen solche expliziten oder aus § 242 BGB abgeleiteten impliziten Kooperationsmechanismen, führt dies online, ähnlich wie auf der Baustelle, oft zu Missverständnissen, Verzögerungen, Budgetüberschreitungen und letztlich zu teuren Rechtsstreitigkeiten und dem Scheitern des Projekts. Interessanterweise kann die Digitalisierung des Baurechts selbst, beispielsweise durch Building Information Modeling (BIM), welches eine intensive digitale Kooperation und den Austausch strukturierter Daten erfordert, wiederum Impulse für die rechtliche Gestaltung anderer datenintensiver Online-Kooperationen geben. Die vertraglichen und rechtlichen Lösungen, die für BIM-Projekte entwickelt werden (z.B. Regelungen zur Datenhoheit, Haftung bei Planungsfehlern in digitalen Modellen), könnten als Vorbild dienen.  

V. Leistungsstörungen und Kooperationspflichten

Die Verletzung von Kooperationspflichten kann unmittelbar zu Leistungsstörungen im Sinne des BGB führen. Wenn eine Partei ihren aus dem Vertrag oder aus § 242 BGB fließenden Kooperationspflichten nicht nachkommt, kann dies die ordnungsgemäße Leistungserbringung durch die andere Partei unmöglich machen oder zumindest erheblich erschweren und verzögern.

Beispielsweise kann die fehlende oder verspätete Mitwirkung des Auftraggebers bei einem Online-Projekt (z.B. Nichtlieferung von Inhalten für eine Webseite, ausbleibendes Feedback zu Entwürfen) dazu führen, dass der Auftragnehmer in Verzug gerät oder seine Leistung gar nicht erbringen kann. Hier kommen die allgemeinen Regeln des Leistungsstörungsrechts zur Anwendung, insbesondere die Vorschriften zur Unmöglichkeit der Leistung (§§ 275 ff. BGB) und zum Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (§§ 280 ff. BGB).  

Eine Verletzung von Kooperationspflichten, die oft als Nebenpflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB oder als unselbstständige Ausprägungen der Hauptleistungspflicht zu qualifizieren sind, kann selbst eine relevante Pflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB darstellen. Dies kann Schadensersatzansprüche auslösen, auch wenn die eigentliche Hauptleistungspflicht (z.B. die Fertigstellung einer Software) formal noch nicht fällig oder gestört ist. Ein Mangel an „wahrhafter Kooperation“, wie die ungerechtfertigte Verweigerung notwendiger Informationen oder die Blockade von Abstimmungsprozessen, kann somit direkte rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Im Online-Bereich ergeben sich hierbei neue Herausforderungen. Automatisierte Systeme oder Algorithmen, die intransparent oder fehlerhaft agieren, können zu systemischen Kooperationsverweigerungen führen, die schwer einer einzelnen verantwortlichen Partei zuzuordnen sind. Man denke an eine E-Commerce-Plattform, deren Algorithmus ungerechtfertigt Händlerkonten sperrt oder Produktlistungen ohne nachvollziehbaren Grund unterdrückt. Hier stellt sich die Frage, wer für diese „algorithmische Kooperationsverweigerung“ haftet – der Plattformbetreiber, der Entwickler des Algorithmus, oder liegt gar ein Fall von „höherer digitaler Gewalt“ vor? Dies erfordert eine sorgfältige Analyse der Verantwortlichkeiten und möglicherweise eine Weiterentwicklung des Verständnisses von Zurechenbarkeit im Leistungsstörungsrecht im digitalen Zeitalter.

VI. Fazit: Kooperation als Rechtsprinzip

„Wahrhafte Kooperation“ ist im deutschen Privatrecht mehr als nur ein frommer Wunsch oder eine unverbindliche Erwartung. Sie ist ein durch den fundamentalen Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB und durch zahlreiche spezifische vertragliche und gesetzliche Pflichten verankertes Rechtsprinzip. Insbesondere im dynamischen, oft komplexen und manchmal unpersönlichen Online-Umfeld ist eine proaktive, faire, transparente und von gegenseitiger Rücksichtnahme geprägte Zusammenarbeit entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg und die Vermeidung von kostspieligen Rechtsstreitigkeiten. Die Kenntnis und Beachtung dieser kooperativen Rechtsprinzipien ist daher für alle Akteure im digitalen Raum von wesentlicher Bedeutung. Die Hegelsche Idee der Sittlichkeit kann hier als Mahnung dienen, dass rechtliche Kooperation letztlich auf einer geteilten ethischen Grundlage und der Anerkennung des Anderen als Rechtsperson beruht, was über die reine Vertragserfüllung hinausgeht.  

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